Philippa Weig · Gesellschafterin der WEIG-Gruppe
Liebe Nachfolgerinnen und Nachfolger,
die eigene Bestimmung zu finden, das zu tun, wofür man „geboren“ ist, ist heute Idealbild in unserer modernen, postindustriellen Gesellschaft. Zwischen Determinismus und vollkommener Individualität bedeutet dies eigentlich die Suche nach dem Lebensweg, der einem Sinnhaftigkeit und das Gefühl vermittelt, „angekommen“ zu sein. Doch wie findet man seine Bestimmung? Während manchen ihre Bestimmung von vornherein klar zu sein scheint, ist für viele andere die Suche nach der eigenen Bestimmung mit grundlegenden Fragen behaftet: Welcher Weg ist der beste für mich? Wo sehe ich mich in zehn Jahren? Was ist der nächste richtige Schritt? Begleitet wird diese Suche nicht selten von Gefühlen der Unsicherheit, von Zweifeln und der Sorge, durch die Verfolgung des einen Weges andere – vielleicht langfristig erfüllendere – Optionen auszuschließen.
Die eigene Bestimmung zu finden, das ist eine Herausforderung. Zu vielfältig scheinen die Möglichkeiten – beruflich wie privat –, die uns heute offenstehen. Häufig stehen wir vor der Wahl zwischen mehreren vielversprechenden Optionen, in oder außerhalb des Familienbetriebs, auf dem einen oder anderen Karrierepfad, in Beruf oder Familie. Alles scheint möglich, nichts gewiss. In Familienunternehmen können ein empfundenes Verantwortungsgefühl oder mögliche Erwartungen der Familie an die nachfolgende Generation die ganz individuelle Bestimmungssuche zusätzlich erschweren. Aber auch, wenn Möglichkeit oder Ausgestaltung der Nachfolge nicht klar kommuniziert oder geregelt sind, kann ein Gefühl des stetigen Sich-Bereithalten-Müssens Nachfolgerinnen und Nachfolger vor erhebliche Unsicherheiten stellen.
Wertvoll war für mich die Erkenntnis, dass es nicht den einen richtigen Weg zur eigenen Bestimmung gibt. Vielmehr ist Bestimmungsfindung ein fortdauernder Prozess der Selbstentwicklung, Reflexion und Re-Evaluation, der für jeden ganz individuell ist und der durchaus auch Umwege erlaubt. Ich erlebe Bestimmungsfindung zudem als Frage der Einstellung und von Kreativität. Sind wir bereit, neu zu denken und unsere Situation mutig zu gestalten, können wir auch in vermeintlich ungünstigen Lebensumständen alternative Wege zur Bestimmung finden. So muss auch Verantwortungsübernahme in der Nachfolge nicht zwingend in eine operative Geschäftsführung münden, sondern kann etwa – genauso bedeutsam – in Gremien wie Gesellschafterversammlung, Aufsichtsrat oder Familienrat erfolgen. Habt also den Mut, voranzugehen, Eure individuellen Interessen zu verfolgen und Euch Eure Bestimmung Schritt für Schritt zu erschließen. Denn möglicherweise ergibt sich „unterwegs“ eine noch unvorhergesehene Option, die all Eure Interessen, Vorstellungen und Wünsche vereint. Um es frei nach Søren Kierkegaard zu sagen: „Verstehen kann man das Leben nur rückwärts; leben muss man es aber vorwärts“.
Ich freue mich auf einen spannenden Austausch und darauf, mit Euch gemeinsam einen weiteren Schritt im Prozess der Bestimmungsfindung zu gehen.
Eure Philippa